Botschaft von Frau Ruiko Muto aus Fukushima 2023

An alle auf der Welt

2022 war das Jahr, in dem wir uns wegen des Ukrainekrieges erneut die Befürchtung ins Gedächtnis rufen mussten, dass der Gebrauch von Atomwaffen wieder möglich geworden ist. Und auch, dass Atomkraftwerke im Fall eines Angriffs zu einer Art Nuklearwaffen werden könnten.

Im August 2022 machte der japanische Premier Kishida neue Energiestrategierichtlinien bekannt. Darunter fällt die Wiederaufnahme des Betriebs bestehender Kernkraftwerke, der Bau von neuen Reaktoren sowie das Ersetzen alter AKW durch neue.  Am 10. Februar dieses Jahres wurden diese neuen Richtlinien als Teil der sogenannten „Grünen Transformation“ (GX) festgelegt, ohne dass zuvor darüber in der Öffentlichkeit ausreichend diskutiert worden war: Die Frist für eine Stellungnahme zu diesen Fragen war viel zu kurz, und insgesamt waren landesweit nur zehn Termine für öffentliche Informationssitzungen und Treffen für Meinungsaustausch anberaumt worden. Doch noch bevor diese Termine alle wahrgenommen werden konnten, hatte die Regierung den Kabinettbeschluss bereits rigoros durchgesetzt, um den Weg zur Rückkehr zur Atomenergie zu ebnen. Wir sind darüber mehr denn je sehr empört.

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima ist dabei keineswegs vorbei. Vielmehr gibt es noch immer mehrere Sperrzonen in sieben Dörfern und Gemeinden, und noch immer können mehrere zehntausende Evakuierte nicht in die Heimat zurück. 12 Jahre nach dem Super-GAU will die japanische Regierung wieder voll auf Atomenergie setzen und sich von den Entscheidungen verabschieden, die damals als Lehre aus dem Unfall getroffen worden waren, nämlich: Die Abhängigkeit von der Atomenergie zu reduzieren, die Laufzeiten von AKWs prinzipiell auf 40 Jahre zu begrenzen und die Atomaufsicht und die Förderung der Atomenergie voneinander zu trennen. Diese Annullierung der damaligen Entscheidungen wird das Risiko eines nächsten Atomunfalls erheblich steigern. Wir fühlen uns verpflichtet, diese ungeheure Politik zu verhindern.

Ähnliche Beobachtungen über den Kurswechsel machen wir auch in Gerichtsverhandlungen. Die Sammelklage von Geflüchteten aus Fukushima zur Verantwortung des Japanischen Staates war in drei von insgesamt ersten vier Instanzen positiv beschieden worden. Im Juni 2022 hat der Oberste Gerichtshof jedoch erneut ein Urteil gefällt, in dem die Verantwortung des Staates abgelehnt wurde. Die Klage wurde abgewiesen. 

Ähnlich lief es im Strafprozess gegen die ehemaligen Tepco-CEOs: sie wurden in der zweiten Instanz im Januar dieses Jahres alle freigesprochen. Die Begründung: die Beweislage sei nicht eindeutig. Dabei fanden keine Vor-Ort-Untersuchungen statt, und alle Anträge auf Zeugenvernehmungen waren abgelehnt worden.  

Auch in anderen Gerichtsverhandlungen muss man leider feststellen: Weder ausreichende Untersuchungen statt noch Verhandlungen, die diese Reihe von Gerichtsurteilen rechtfertigen würden. Es bestätigt sich somit der Eindruck, dass die Justiz unter dem Einfluss der Politik der Regierung steht. 

Gegen das Urteil im Tepco-Strafprozess ist nun bereits Berufung eingelegt worden beim Obersten Gerichtshof. Wir müssen entschlossen weiter an die Öffentlichkeit appellieren, sich gegen das letzte Urteil einzusetzen und das, was darin falsch lief, damit über entscheidende Punkte im Obersten Gerichtshof neu und ernst verhandelt wird. 

Außerdem will die japanische Regierung im Frühling bis Sommer dieses Jahres ihr Vorhaben durchsetzen, kontaminiertes Wasser aus dem AKW Fukushima Daiichi verdünnt ins Meer einzuleiten. Dieses Wasser ist zwar durch die Filteranlage ALPS gefiltert, es ist aber noch immer stark radioaktiv verseucht. Sollte mit der Verklappung begonnen werden, würde diese über mehrere Jahrzehnte fortgesetzt. 

Letztes Jahr haben wir mit Menschen aus dem asiatisch-pazifischen Raum ein internationales Forum „Verseucht die Meere nicht mit radioaktiven Stoffen“ veranstaltet. Denn überall dort, wohin dieses kontaminierte Wasser fließt, werden die Menschenrechte jener Bevölkerungen verletzt, die am und vom Meer leben. Und es wird in diesen Regionen das Leben all jener Lebewesen zerstört, die im Meer zu Hause sind. International wird diese Stimme stärker. 

Wenn Japan nun absichtlich noch mehr radioaktives Wasser von Fukushima ins Meer ablassen würde, nachdem bereits eine enorme Menge an radioaktiven Stoffen während und nach der Katastrophe in die Atmosphäre und in das Meer gelangt war, würde es uns das Herz noch mehr zerreißen. Wir dürfen es auf keinen Fall zulassen. Deshalb wollen wir Menschen dazu aufrufen, am 13. April überall Aktionen gegen den Plan zu organisieren, denn genau an dem Tag letzten Jahres war der Plan im Kabinett beschlossen worden. Lasst uns gemeinsam durch verschiedene Aktionen diese Untat stoppen.

Die Welt scheint zwar gerade immer düsterer zu werden, aber wir dürfen uns nicht erlauben aufzugeben, denn wir müssen dafür sorgen, dass es ein wenig Licht der Hoffnung in der Welt gibt, die wir den nächsten Generationen hinterlassen.

zum 11. März 2023 in Fukushima,

Muto Ruiko

Sprecherin der Klägergruppe gegen TEPCO

Repräsentantin der Gruppe Frauen von Fukushima 

http://hidanren.blogspot.de/

http://kokuso-fukusimagenpatu.blogspot.com/p/blog-page_5112.html

(Übersetzung aus dem Japanischen: Sayonara Nukes Berlin)

Radioaktives Wasser im Frühling oder Sommer ins Meer

Die japanische Regierung hat am 13. Januar bei einer Sitzung festgelegt, dass das radioaktiv verseuchte Wasser, das im Gelände des AKW Fukushima I tonnenweise gelagert ist, ab kommendem Frühling oder Sommer ins Meer freigesetzt werden soll.

Bei der Ankündigung von vor zwei Jahren versprach sie, mit der Arbeit erst zu beginnen, wenn sie Verständnis von allen beteiligten Seiten erhalten hat. Der Bau der Einrichtungen wie Unterseetunnel hat jedoch bereits gestartet, während von verschiedenen Seiten Bedenken gegen das Vorhaben der Regierung erhoben wurden.

Am meisten betroffen und beunruhigt sind die Fischer. Der Direktor der Fischereigenossenschaft Miyagi sagte gegenüber NHK, als allgemeine Ansicht sei sie nach wie vor entschieden gegen die Freisetzung. Auch der nationale Verband äusserte sich und verlangte weiterhin ein aufrichtiges Angehen in Bezug auf Erläuterung für Fischer und Bevölkerung, Massnahmen gegen Reputationsschaden oder Gewährleistung der Sicherheit des verarbeiteten Wassers.

Dieses Wasser enthält immer noch radioaktive Stoffe, unter anderem Tritium, das sehr schwer zu entfernen ist. Tepco will den Stoff bis zu 1500 Beqcuerel pro Liter verwässern, bevor es im Meer beseitigt wird. Die Regierung, der Betreiber des Kraftwerks und die Präfektur Fukushima appellieren jetzt mit allen Kräften, dass damit die Umwelt sicher bleiben würde.

Geflüchtete aus Fukushima: In Isolation und Geldnot

Im Jahre 2020 lancierte FoE Japan das Projekt «Fukushima Mieruka», das Auswirkungen der Atomkatastrophe von Fukushima sichtbar machen will.

Die internationale Umwelt-NGO berichtet im Rahmen des Projekts über die Situation der Geflüchteten aus Fukushima und umliegenden Präfekturen, indem sie verschiedene Studien zitierte.

https://311mieruka.jp/info/en/reports/conditions-of-evacuees/

Das japanische Parlament hat vor zehn Jahren ein Gesetz zur Unterstützung der Betroffenen vom Atomunfall verabschiedet. In der Tat sei diese jedoch sehr bescheiden, kritisiert FoE Japan in ihrer Website. Gemäss Untersuchungen wurden zum Beispiel verschiedene finanziellen Hilfeleistungen zum Wohnen kontinuierlich abgeschafft.

Von japanischen Medien waren auch zu erfahren, dass diejenigen, die ausserhalb der Evakuierungszonen gewohnt hatten und trotzdem ihren Heimatsort verliessen, sich in einer grösseren Notlage befinden. Heute leben sie oft isoliert und Entschädigung bekamen sie nur wenig. Viele Ehepaare liessen sich scheiden oder der Vater lebt allein, um zu arbeiten.

Für viele Geflüchteten ist auch schwierig, eine feste Stelle zu finden. Eine Studie von 2020 zeigt, dass die finanzielle Situation der alleinstehenden Mutter sich inzwischen drastisch verschlechtert hat, dazu trug auch die Pandemie bei.

Die NGO zitiert auch einen Bericht der Prüfungsausschuss der Präfektur Niigata vom Januar 2021 über Auswirkungen des Atomunfalls auf die Gesundheit und das Leben: Durch das sich lange hinziehende Leben als Flüchtling entstanden unterschiedliche „Verluste“ und „Trennungen“, so dass es nicht einfach wurde, das Sozialleben und die menschliche Beziehung von vor dem Unfall wiederzugewinnen; Die Geflüchteten bringen viele Opfer und verloren Stellen, Lebenssinne und Beziehungen. Die allein mit ihren Kindern lebende Mütter leiden an Schmerzen, die durch das Gefühl der Isolation oder die Umsiedlung verursacht wurden, sowie am schlechten körperlichen und geistigen Befinden. Jede Familie erfolgte die Zufluchtsaktion als die Folge der vernünftigen Entscheidung, man sollte für diese Wahl genügend Verständnis zeigen. Der Bericht wies auch hin, dass auch Gebliebenen durch die Angst vor gesundheitlichen Schaden durch Strahlung zum Risiken meidenden Verhalten gezwungen sind, und dadurch sinkt die Lebensqualität.

Der Staat, der die Atompolitik vorangetrieben hat, ist verantwortlich, die Situation der Geflüchteten zu erfassen und das Rechts-, Organisation- und Ausfüllungssystem zur Unterstützung der Betroffenen aufzubauen, fordert FoE Japan.

Wiederverwendung des Atommülls von Fukushima

Im Areal neben dem AKW Fukushima I wird seit 2015 durch die Atomkatastrophe von 2011 entstandene, kontaminierte Erde gesammelt. Sie wurde nach der Dekontaminierungsarbeit in der jeweiligen Gemeinde gelagert und nach der Fertigstellung wurde zu diesem Zwischenlager sukzessiv gebracht. Nun wurde gesamte kontaminierte Erde von 14 Millionen Quadratmetern in diese Anlage eingeliefert.

Aber die Dekontaminierungsarbeit setzt sich fort in den Gebieten, die innerhalb der Sperrzone als Wiederaufbaubasis ernannt wurden. Die Menge der radioaktiv verseuchten Erde wächst also in Zukunft noch weiter.

Die japanische Regierung will die kontaminierte Erde mit niedriger Konzentration der radioaktiven Stoffe als Aufschüttung des Ackerlands wiederverwenden. Dazu erhöhte das Umweltministerium den Grenzwert für Wiederverwendung der Erde mit radioaktiven Stoffen von 100 Bq/kg auf 8‘000 Bq/kg.

Offiziell ist es noch nicht so weit, aber Herr Chia Yoshida, Schriftsteller, fand heraus, dass bereits 2,09 Millionen Tonnen Atommüll, vor allem Beton-, Metall- und Holzmüll, wiederverwendet wurden. Die Tageszeitung Tokyo Shinbun recherchierte daraufhin weiter und spürte auf, dass dieser Müll unter anderem für Flussschutzarbeiten eingesetzt wurde. Der Grenzwert bei solchem Müll wurde ebenfalls von 100 Bq/kg auf 3‘000 Bq/kg abgeschwächt.

Laut Tokyo Shinbun scheint selbst das Umweltministerium nicht in der Lage zu sein, wo dieser Atommüll wiederverwendet wurde.

Eine Stimme aus Fukushima

Frau Kinue Suzuki ist mit einer Behinderung geboren worden. Sie lebte in Fukushima, bis die Atomkatastrophe diesen schönen Ort heimsuchte. Sie verliess bald ihre Heimat, ging nach Kyoto und starb 2021 an Schilddrüsenkrebs.

Ein Video wurde in 2017 von ihrem Freundekreis produziert, in dem Frau Suzuki ihre schwierige Situation erzählte. Nun ist das Video mit Untertitel in Englisch zu sehen.