Seit der Atomkatastrophe von Fukushima sind über zehn Jahre vergangen. Die Interessen an der aktuellen Lage des havarierten Atomkraftwerks sowie an der Evakuierten und Geflüchteten ist in der Öffentlich kaum mehr zu erkennen. Daran interessieren sich heuer scheinbar nur noch die Betroffenen und wenige Ausnahmen. The Japan Society for Disaster Recovery and Revitalization an der Uni Kansai Gakuin gehört dazu. Eine Gruppe dieses Instituts untersuchte die heutige Situation der Evakuierten und Geflüchteten und veröffentlichte das Ergebnis im September 2021.
Laut Yoko Saito, der leitenden Forscherin und ausserordentlicher Professorin an der Uni, wurde durch die Umfrage, die 10 Jahre nach dem verheerenden Unfall durchgeführt wurde, klar, dass die Menschen, die ihren Wohnort innerhalb und ausserhalb Fukushima wegen der Auswirkungen des Atomunfalls verlassen hatten, heute finanziell schlechter dastehen als zuvor und weniger Kontakte in der neuen Nachbarschaft haben. Viele Menschen gaben allerdings auch an, dass sie psychisch in guter Form seien. Die Analyse der Forschungsgruppe stellte sich heraus, dass sie eine gute Beziehung in der Nachbarschaft pflegen und jemanden haben, mit dem sie über ihre Probleme sprechen können.
Das grösste Problem bei der Hilfe für Evakuierten und Geflüchteten besteht wahrscheinlich darin, dass der Begriff „Evakuierte“ nicht klar definiert worden ist. Neben den Menschen, die aus den Sperrzonen evakuiert wurden, gibt es zahlreiche solche, die auf eigene Faust ihren Wohnort, der sich auch ausserhalb Fukushima befand, verlassen haben. Saito schreibt in ihrem Bericht, dass die Anzahl der Evakuierten, die die Behörde der Präfektur Fukushima erfasst, in diesen zehn Jahren von 160‘000 auf 30‘000 zurückging. Dahinter steht die Fukushima-Politik der Regierung. Ihr Ziel lautet: Die Evakuierten sollen so schnell wie möglich wieder in ihre Heimat zurückkehren. Saito äussert sich eine Vermutung, dass der Dunkelziffer der Nicht-Zurückgekehrten sehr gross sein kann, weil es kaum Untersuchung gibt, die alle Menschen erfasst, die ihr Zuhause nach dem Atomunfall verlassen haben.
Die Forschungsgruppe an der Uni Kansai Gakuin verteilte ihren Fragebogen an 15 verschiedene Organisationen wie NPOs im ganzen Land, die ihn weiter an die Betroffenen sandten. Schliesslich antworteten 694 Betroffenen. Die meisten, auch jene, die nicht aus Fukushima stammen, gaben an, dass sie heute keine Absicht haben, in ihre Heimat zurückzukehren. Das heisst jedoch nicht unbedingt, dass sie es nicht wollen, sondern sie können nicht zurückkehren, so Saito.
Die Lebenshaltung in einem neuen Ort ist nicht einfach. Manche können nicht mehr in einem eigenen Haus wohnen, eine Festanstellung ist ebenfalls schwierig. Die finanzielle Unterstützung vom Staat ist heute bereits aufgehoben. Und manche haben von der Regierung überhaupt keine finanzielle Unterstützung erhalten.
Eine klare Mehrheit der Teilnehmenden der Umfrage verdient heute weniger als vor dem Atomunfall in Fukushima. Mehr als zwei Drittel verdienten in 2019 weniger als fünf Millionen Yen (ca. 40‘000 Franken). Vor dem Unfall betrug der Anteil ca. 50 %.
Die Evakuierten und Geflüchteten isolieren sich immer mehr. Sie können keine neue Beziehung in der Nachbarschaft aufbauen und verlieren die alte Freundschaft. Etwa 60 % der Menschen, die vom Staat zum Umzug angeordnet wurden, gaben an, dass sie vor dem Wegziehen von der alten Heimat Freunde hatten, die in einer Notsituation gegenseitig helfen konnten. Diese Freundschaft ist in der heutigen Lebenssituation, die sie nicht mehr in der Nähe wohnen, verloren gegangen und nur noch rund 10 % pflegen noch solche engen Beziehungen mit jemandem.
Die Forscher empfehlen unter anderem Einführung eines Katastrophe-Managements durch Gemeinden und Hilfsorganisationen. Das wird eine individuelle, sorgfältige Unterstützung für die Betroffenen ermöglichen.
NGO FoE Japan veröffentlicht eine Zusammenfassung des Berichts auf Englisch.
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