Monat: Oktober 2016

Traurige Konfrontation

Das Wochenmagazin „Playboy“ hat am 23. Oktober auf seiner Website über eine Clean-Up-Aktion in Fukushima berichtet. Diese Aktion, an der auch Minderjährige teilnahmen, fand schon vor der Atomkatastrophe statt und über 4’000 Menschen machten damals mit. Zum ersten Mal nach dem Unfall kam letztes Jahr die Bevölkerung entlang der die Präfektur von Süden nach Norden durchquerende Staatsstrasse Nr. 6 wieder zusammen, um die Strasse und die Umgebung von Iwaki über Naraha, Tomioka, Okuma, Futaba, Namie, Minami-Soma, Soma bis Shinchi-Machi sauber zu machen.

Diese Gegend ist jedoch teilweise wegen des Atomunfalls vom AKW Fukushima I stark verseucht und der Verkehr war bis vor zwei Jahren eingeschränkt. Deshalb musste die Organisatorin NPO Happy Road Net vor einem Jahr heftige Kritik aus ganzem Japan einstecken, dass sie Kinder mit der Aktion der Gefahr der Strahlung aussetzen würde.

Gemäss „Playboy“ verkündete die NPO letztes Jahr mit Hilfe der verschiedenen Medien gross über die Aktion, dieses Jahr hingegen wegen der Kritik vom letzten Jahr kaum mehr. Trotzdem nahmen 1’400 Menschen, so viel wie letztes Jahr, an der Veranstaltung teil, sowie ein Journalist vom „Playboy“.

Während der Aktion mass er die Strahlendosis an verschiedenen Stellen und berichtete, dass sie stets über 0.2 µSv war. Der Grenzwert für Dekontamination, den die japanische Regierung festgelegt hatte, beträgt 0.23 µSv. Er sah zahlreiche Oberschüler, die ohne Schutzmaske an Stellen, die eigentlich dekontaminiert werden sollten, Abfall sammelten. Nach Gespräch mit ihnen wurde klar, dass sie sich doch mehr oder weniger Sorgen um die Strahlung machten. Aber sie verdrängten das mulmige Gefühl, oder zumindest sie versuchten, es zu verdrängen.

Frau Yumiko Nishimoto, die Vorstandvorsitzende der NPO, behauptet gegenüber dem Journalisten, die Gegend sei sicher. Sie kritisierte dann, „Sowohl Tokyo als auch Fukushima bestätigte, dass hier sicher ist und dass man zurückkehren darf. Warum ignorieren die Medien das? Schämen Sie sich nicht, wenn Sie die vermeintliche Gefahr anfachen? Wir haben schliesslich keine andere Wahl, als hier zu leben. Wollen Sie den Wiederaufbau stören?“

Die Staatsstrasse wird heute alltäglich benutzt. Daher ist für die Einwohner nichts Spezielles, entlang der Strasse zu gehen. Die Frage ist nur, ob das der Alltag sein darf.

Herr Norihiro Oe, der Chefredakteur des Monatsmagazins „Wedge“, schrieb einen Artikel mit dem Titel „Aktivisten, die die Bevölkerung in Fukushima mit dem nicht existierenden Strahlungsproblem konfrontieren“. Er bezeichnet Frau Nishimoto als eine Person, die sich mit ganzer Seele für den Wiederaufbau der Region Hamadori (an der Küste der Präfektur Fukushima) einsetzt, nachdem sie bereits in 2011 nach Hause in Hirono zurückgekehrt ist.

Und er stellt genau die Frage: „Die Gemeinden, durch die die Staatsstrasse Nr. 6 führt, sind heute wieder bewohnt. Warum dürfen die Bewohner ihre eigene Stadt saubermachen? Die Strasse dient auch zahlreichen Kindern als Schulweg.“

Er erklärte, wie niedrig die Strahlenbelastung der Bevölkerung in Fukushima sei und dass auch die teilweise sehr hohe Strahlung für eine kurze Zeit harmlos sei, und rügte die japanischen Medien, die die Clean-Up-Aktion von Happy Road Net kritisiert haben.

Die Aktivisten, die aus Tokyo an die Aktion teilnahmen, hätten in der Pause Zigaretten geraucht und die Schutzmaske nicht so getragen, dass sie den Mundbereich dicht abdeckte. Das seien keineswegs Benehmen von Menschen, die sich das Risiken für Krebserregung bewusst seien. Und gegen solche böswilligen Aktivisten könne man nur Widerstand leisten, wenn viele Menschen sich eine Lese- und Schreibfertigkeit aneignen würden. Er forderte auch Atomspeziallisten, sich für die Realität von Fukushima passend zu äussern.

Aber das Problem ist gerade, dass jeder die Realität so interpretieren will, wie sie ihn passt. Das symbolisiert die Spaltung der japanischen Gesellschaft nach dem Atomunfall.

Sollten aber verschiedene Massnahmen nicht mit Vorsicht zugunsten der Gesundheit der Bevölkerung durchgeführt werden? Oder ist das Leben in Heimat mit niedriger Strahlung doch besser als das langwierige provisorische Leben mit viel psychischen Stress? Das können nur Betroffene selber beurteilen.

Übrigens ist das Magazin „Wedge“ im „Green-Wagen (erste Klasse)“ des Shinkansen gratis zu lesen. Und vielleicht darf man hier auch erwähnen, dass die Shinkansen-Betreiberin JR-Gruppe Strom von Tepco kauft.