Monat: April 2013

Kinder müssen in Koriyama bleiben

Im Streit um das Recht für ein Schulbildung ausserhalb Koriyama (siehe Beitrag vom 24. 2. 2013) hat das Gericht am 24. April eine negative Entscheidung für die Kinder gefallen. Vierzehn Kinder haben von der Stadt Koriyama in der Präfektur Fukushima verlangt, dass sie die Schulbildung nicht in einem Lebensraum mit hoher radioaktiven Strahlung, also Koriyama, sondern in einer sichereren Ort anbieten soll.

Aber dieser Wunsch fand bei der Justiz in Sendai kein Gehör. Das höhere Gericht bestätigte zwar die Ansicht der Kläger, dass die Kinder zur Zeit stets niedrigen Strahlendosen ausgesetzt sind und auf das Leben, den Körper und díe Gesundheit negativ beeinflusst werden könnten. Aus der Gefahr befreit werden könne man nur, wenn man die Stadt verlassen würde, heisst im Urteil.

Trotz diesen „mittel- und langfristigen Besorgnisse“ findet das Gericht jedoch keine Beweise, dass die niedrigen Strahlendosen unumkehrbare negativen Einflüsse auf Kinder haben würden. Bei Kindern überschreite die Strahlenbelastung im privaten Leben ausserhalb der Schule ohnehin den Grenzwert von 1 mSv im Jahr. Wenn auch sie in einem anderem Ort in die Schule gehen würden, könne man also die Strahlenbelastung nicht unter den Grenzwert halten, solange sie in der Stadt wohnen würden.

Wenn sie in einem anderen Ort leben und dort in die Schule gehen würden, sollten sie in die dortige Schule besuchen. Die ursprüngliche Gemeinde der Kinder hätte es nicht nötig, eine neue Schule in einer anderen Gemeinde zu errichten. Das Gericht ist schliesslich der Meinung, Kinder müssen selber organisieren, wenn sie die Stadt verlassen wollen.

Die Anwälte der Kläger finden in der Urteil mehrere Widersprüche (siehe Beitrag vom 25. 11. 2012) und wollen sich weiterhin einsetzen, um die Kinder in einen sichereren Ort zu bringen.

Veränderungen in der Tierwelt

Ende März berichteten vier Forscher an einem Symposium über die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung, die der Atomunfall von Fukushima verursacht hat, auf die Pflanzen- und Tierwelt.

Gemäss des Wirtschaftsmagazins „Toyo Keizai Online“ stellte der Professor Rakwal Randeep an der Uni Tsukuba gewisse Veränderungen der Gene in der Reispflanze fest. Die Pflanzen wurden in einem Versuchungsfeld in Iitate der Strahlung ausgesetzt. Bei den Genen handelt es sich um diejenigen, die die Verletzung der DNA restaurieren, und solche, die auf Stress und Schutz reagieren.

Der ausserordentliche Professor Joji Otaki an der Universität Ryukyu beobachtete den Schmetterling Zizeeria maha, die in Japan häufig zu sehen ist, über die Generationen. Je mehr sie mit radioaktiv verseucht war, desto kleiner wurde der Flügel, war das Fazit seiner Forschung. Ausserdem benötigte die Puppe längere Zeit zum Schlüpfen. Die kontaminierten Schmetterlinge starben auch häufig in ungewöhnlicher Art und Weise. Zum Beispiel konnte die Puppe nicht vollständig aus der Schale schlüpfen oder die Flügel konnten nicht richtig auswachsen. (Das Originalartikel in Englisch ist hier zu lesen.)

Eine Verseuchung von bis auf 530’000 Bq/kg am Gefieder vom japanischen Nachtigall, Cettia diphone, feststellte der ausserordentliche Professor Ken Ishii an der Uni Tokyo. Er fang vier Nachtigallen im Bezirk Akogi in der Gemeinde Namie-machi, wo ca. 25 km vom AKW Fukushima I entfernt ist. Eine davon hatte eine ungewöhnlich grosse Geschwulst. „Ich habe noch nie so eine grosse Geschwulst gesehen“, sagt Ishii. Bei dem Vogel wurden auch Blutprotozoen gefunden. Dazu mehr Info hier (Englisch) klicken.

Der Professor Shin-ichi Hayama an der Nippon Veterinary and Life Science University forschte die Auswirkungen der Strahlung auf die japanischen Affen. Bemerkenswert dabei sei die Anzahl des weissen Blutkörperchens. Bei den in der Stadt Fukushima lebenden Affen war sowohl die innere als auch die äussere Strahlenbelastung nicht sehr hoch. Trotzdem war die Anzahl des weissen Blutkörperchens bedeutend weniger als üblich. Auch eine Abnahme des roten Blutkörperchens war zu beobachten.

Nicht nur Kinder…

Frau Kinno ist Lokaljournalistin in Nordjapan, Tohoku, und hat mich vor einem Jahr in der von Tsunami verwüsteten Stadt Rikuzen-Takata geführt. Seit der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe informiert sie der Bewohner dieses Gebiets energisch Neuigkeiten.

Eines Tages, schreibt sie in ihrem Blog, fuhr sie mit dem Auto zwei Stunden nach Morioka, um einen Film zu sehen. Vor dem Kino-Besuch traf sie sich mit einem Bekannten in der Stadt, sprach während des Mittagsessens über die aktuelle Situation im Katastrophengebiet.

Etwa um drei Uhr war der Film fertig, ging sie danach kurz zu Starbucks und fuhr wieder nach Hause. Das war keine besondere Begebenheit. Im Auto auf dem Rückweg merkte sie doch, dass sie sich befreit fühlte. Warum?

Sie bewegt sich tagtäglich im Katastrophengebiet. Bewusst oder unbewusst nimmt sie immer die Spuren der erbarmungslosen Katastrophe wahr. Morioka, eine grosse Stadt im Inland, hat hingegen keine Schaden durch den Tsunami erlitten. Das Leben dort bleibt so wie früher. Allein das, sich in einer Normalität zu befinden, befreite sie vom psychischen Stress, unter dem sie seit fast zwei Jahren ständig steht.

Und sie ist nicht einzige. In Facebook schreibt ihr Bekannter von Rikuzen-Takata: „Ich kann mich nie erholen, bin willensschwach und will nicht arbeiten gehen.“ Neben dem Beruf verrichtet er seit der Katastrophe auch freiwillige Arbeit. Frau Kinno analysiert, dass er immer angespannt ist und nicht mehr in der Lage ist, sich zu entspannen.

Auch ein Restaurantinhaber klagten über Schwindel. Frau Kinno hat von seiner Frau erfahren, dass er zum Arzt, Spital oder sogar zur Notfallstation ging. Der endgültige Befund hiess „verspante Schultern“. Den Stress, der seit zwei Jahren ständig den Menschen begleitet hat, erträgt der Körper langsam nicht mehr, wenn auch man nicht merkt, dass man erschöpft ist.

Viele Menschen im Katastrophengebiet arbeiten seit dem 11. März 2011 tagaus tagein unaufhaltsam, um das „normale“ Leben zurückzufinden. Sie wollen für die Heimat etwas beitragen. Da es vor Ort eher an Arbeitskraft mangelt, findet man keinen Ersatz, so arbeiten sie weiter, ohne eine Pause einzulegen.

Frau Kinno hat in Morioka gemerkt, dass es wichtig ist, sich vom Katastrophengebiet, wenn auch für kurze Zeit, zu entfernen. So kann man sich etwas auffrischen. Für Kinder im Katastrophengebiet werden zahlreiche Ferienprogramme organisiert, aber die Erwachsene haben sie auch dringend nötig.

Pannen im AKW Fukushima I

Von den Pannen – radioaktiv verseuchtes Wasser trat aus den unterirdischen Tanken aus – weiss man mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum. Auch von Stromausfällen im März. Die Brennstäbe im Abklingbecken des Blocks 3 konnten damals höchstens 29 Stunden lang nicht abgekühlt werden.

Aber das war nicht alles. Laut Digital Asahi traten bei den Messinstrumenten für die radioaktive Strahlung in der Luft immer wieder eine Störung auf, eine neue Kläranlage, die kontaminiertes Wasser reinigen soll, kann noch nicht eingesetzt werden, weil es sich herausstellte, dass die Haltbarkeit des Abfallbehälters ungenügend ist.

Auch Roboter, die anstatt Menschen ins Reaktorgebäude geschickt wurden, kamen wegen einer Störung nicht mehr zurück. In den Reaktoren 1, 2 und 3, bei denen eine Kernschmelze aufgetreten ist, ist die Strahlendosis nach wie vor sehr hoch, so dass kein Mensch sie betreten kann.

Digital Asahi begründet die Pannenserie beim AKW Fukushima I damit, dass der Betreiber Tepco immer noch provisorische Geräte und Einrichtungen einsetzt, obwohl man für die Stilllegung der Reaktoren eine Zeitspanne von 40 Jahren voraussieht. Tepco habe immer wieder aufs Geratewohl reagiert und behandelt nur das Problem, das bereits aufgetreten ist. Sie sei nicht vorausblickend und habe nicht genügend Massnahmen ergriffen, kritisiert Asahi.

Miserable Arbeitsbedingungen für Dekontaminierungsarbeiter

Die beiden grossen Zeitungen, Mainichi und Asahi, haben am 4. April in unterschiedlicher Weise über ein erbärmliches Arbeitsumfeld der Dekontaminierungsarbeiter berichtet.

Gegenüber der Mainichi-Zeitung sagte ein 59-jähriger Arbeiter aus der Präf. Aomori: „Sie behandelten mich menschenunwürdig.“ Er verrichtete vom September 2012 für zwei Monate eine Dekontaminierungsarbeit in der Stadt Tamura der Präf. Fukushima, während er mit anderen drei Arbeitern in einem kleinen Bungalow von 13 m2 zusammen wohnte und sich trotz schwerer Körperarbeit fast ausschliesslich mit vegetarischem Essen kleiner Portion zufriedengeben musste.

Verantwortlich für diese leichte Mahlzeit war der Subunternehmer, für den er arbeitete. Als er mit der Köchin sprach, sagte diese, sie habe von der Firma nur wenig Budget erhalten, zwar für Frühstück 1 Franken pro Person und für Abendessen 2 Franken.

Zwischen der grossen Baufirma, die den Auftrag von der Regierung direkt erhält, und den Arbeitern, die tatsächlich Arbeit verrichten, gibt es mehrere Subunternehmer. Als der Arbeiter aus Aomori von einem Bekannten über den Job erfahren hatte, hatte es geheissen: für Grassschneiden an der Strasse erhält man 110 Franken pro Tag, plus Unterkunft und Verpflegung. Das alles hatte er in der Tat bekommen, aber für diejenige Dekontaminierungsarbeit, die die Regierung direkt kontrolliert, wird zusätzlich noch 100 Franken als Zulage für das Verrichten der gefährliche Arbeit bezahlt. Zieht man den Betrag von der Entschädigung ab, beträgt der tatsächliche Tagelohn nur noch 10 Franken.

Die Asahi-Zeitung berichtete von einem Arbeiter aus Iwate, der im Oktober letzten Jahres in der Gemeinde Naraha an einer Dekontaminierungsarbeit teilnahm. Dabei zwang ihm der Geschäftsführer des Subunternehmers, für den er arbeitete, das Formular, das das Erhalten der Zulage von 100 Franken bestätigt, zu unterschreiben. Ansonsten würde er keinen Job kriegen. Als er das verweigerte, weil er das Geld nie gesehen hatte, wurde ihm auf der Stelle gekündigt. Der Geschäftsführer dementiert diesen Sachverhalt.