Tomoya Higashigaki ging Ende April als freiwilliger Helfer ins betroffene Gebiet und arbeitete dort für fünf Tage während der „golden week“ (siehe Seite Mai 2011). Er ist 29 Jahre alt und berufstätig. Er schrieb mir einen Bericht über seine Tätigkeit und eine Botschaft an uns alle. Ich habe seinen Text ins Deutsche übersetzt.
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Vor Ort war damals das Bahn- und Strassennetz noch völlig zerstört. Am Benzin mangelte es auch. Ich musste unzählige Male vom Zug in den Bus und umgekehrt umsteigen, um von meiner Wohnpräfektur Nara her die Stadt Kesennuma in der Präfektur Miyagi zu erreichen. Insgesamt war ich 24 Stunden unterwegs. Ich ging alleine, ein Zelt und einen Schlafsack habe ich mitgenommen. Die Convinience Stores und Supermärkte waren bereits wieder geöffnet und Esswaren konnte ich mir vor Ort beschaffen. Aber die Wasserleitung funktionierte nicht (die Hälfte des Gebiets hat heute noch kein fliessendes Wasser), ich putzte mir das Gesicht und die Zähne mit dem gekauften Mineralwasser.
Wie Sie vielleicht wissen, werden in der Präfektur Miyagi neben Fukushima nach wie vor sehr hohe Strahlungswerte gemessen. Die kontaminierte Fläche entspricht 1.8-Fach von jener, die beim Atomunfall Tschernobyl wegen der Strahlung zur Zwangsräumungszone erklärt wurde. In Tohoku schnellen die Werte nicht mehr plötzlich hoch, sie machen aber auch keine Anstalten zu sinken.
Ich habe eine Familie. Am Anfang waren alle wegen der Radioaktivität dagegen, dass ich als freiwilliger Helfer in den Norden gehe. Aber ich konnte die Region Tohoku nicht im Stich lassen.
Ich hatte schon als Kind Sehnsucht nach einer reichen und doch schlichten Natur und Landschaft in Tohoku. Deshalb wollte ich unbedingt auf die Uni in der Region gehen und das tat ich auch. Diese Region ist für mich ein spezieller Ort. Das ist auch meine Motivation, meinen Landsleuten, die in Not geraten sind, zu helfen und nicht einfach tatenlos zuzuschauen.
Erst vor Ort wurde mir klar, dass der Schaden so riesig ist, dass die Einwohner und die kleineren Gemeinschaftseinheiten wie Gemeinde und Präfektur alleine aus dieser Not nicht herauskommen können. Das Wort „Wiederaufbau“ kann erst sichtbar werden, wenn nicht nur die japanische Regierung sondern auch alle Menschen in Japan und Leute im Ausland, die an Japan denken, Tohoku unterstützen. Jeder steht in einer anderen Situation; Reiche, Arme, jene, die in der Lage sind, nach Tohoku zu gehen, und solche, die es nicht tun können. Aber ich möchte nur eins sagen: „Lassen Sie das betroffene Gebiet nicht im Stich.“ Ich denke, es ist wichtig, dass jeder tun, was er kann. Wir sollen nicht übertreiben. Im Rahmen des Möglichen kann jeder Tohoku in seiner Art unterstützen, das wünsche ich für Tohoku.
Ich persönlich:
– kaufe Waren, die vermutlich momentan in Tohoku benötigt werden, im Rahmen meiner Möglichen und sende sie einmal im Monat so nach Kesennuma, dass sie am 1. Tag des Monats eintreffen. Wenn man sein Geld für irgendeine Organisation spendet, braucht sie oft viel Zeit, bis sie das Geld an die Betroffenen verteilt. Es kam bereits schon oft vor, dass die eingetroffenen Waren vor Ort in dem Zeitpunkt nicht mehr benötigt wurden. Empfehlen würde ich hingegen auch, dass Sie sich für Ihre Unterstützung nur auf einen Ort konzentrieren.
– trage immer Fotos mit, die ich vor Ort gemacht habe, um sie möglichst vielen Menschen zu zeigen. Ich erzähle auch realistisch was in Tohoku geschieht und was die Betroffenen am dringensten brauchen.
Das tue ich heute und bin noch auf der Suche, was ich weiter tun kann. Es wäre gut, wenn ich noch öfters Tohoku besuchen könnte, aber die Distanz nach Tohoku ist gross und ich kann nicht so oft hinfahren wie ich eigentlich will. Es ist sehr ärgerlich.
Das Viertel Motoyoshi in der Stadt Kesennuma ist mittlerweile meine zweite Heimat geworden. Ich werde sie so lange wie möglich unterstützen, damit ein Wiederaufbau realisiert werden kann. Ich möchte hier ein paar Fotos zeigen.
Beim ersten Foto sieht man, wie gewaltig der Tsunami war. Dieser Ort befindet sich 4 km vom Strand entfernt. Der Tsunami strömte über den Fluss stromaufwärts und suchte die vom Meer weit entfernten Gemeinden heim. Von diesem Ort ist das Meer überhaupt nicht zu sehen.
Der Ort des zweiten Fotos ist 2 Km vom Strand entfernt. Früher waren hier Reisfelder, Wohnhäuser und kleine Fabriken zu sehen.
Heute liegen die Reisfelder unter dem vom Tsunami mitgebrachten Schlamm und die Wohnhäuser sind spurlos verschwunden. Nur noch Ersatzteile und Maschinen von den Fabriken liegen auf einer riesigen Fläche herum.
Das letzte Foto liegt mir am meisten am Herzen. Als freiwilliger Helfer räumte ich Trümmer, die auf eine Anhöhe getrieben wurden, weg.
Dort fand ich in den Schränken viele Fotos von Kindern, Sparbücher und Grundbuchauszüge.
Aber auch überall verstreut lagen Fotos und Sparbücher herum. Die Trümmer (ich benütze allerdings das Wort nicht gern) kann man mit Hilfe einer Maschine einfach entfernen, aber kann man diese Fotos und Sparbücher dann auch zu den Trümmer zählen? Darf man sie als Abfall betrachten? Was meinen Sie dazu? Ich glaube es nicht.
Für eine Maschine, die kein Gefühl hat, sind alle herumliegenden Dinge nichts anderes als Trümmer und Abfälle. Dies zu unterscheiden können nur Menschen. Ihre Kraft ist geringfügig, aber sie haben das Gefühl. Das ist meine Botschaft.
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