Monat: Juli 2014

Die letzte Station Ofunato

Beim letzten Besuch vor zwei Jahren hat mich Herr Keiichi Usui von der Lokalzeitung Tokai Shinpo Ofunato und Kamaishi mit dem Auto geführt. Diese Distanz hätte ich alleine nicht meistern können. Bahnhof AkasakiDiesmal wollte ich die Stadt Ofunato mit dem Fahrrad oder zu Fuss sehen, so bekommt man näheren Eindruck.

Am Morgen begleitete ich meine Freundin aus Osaka mit dem Taxi zum Bahnhof Akasaki. Sie musste wegen der Arbeit einen Tag früher abreisen. Der kleine Bahnhof von Sanriku-Tetsudo stand auf einer Erhöhung, weil in der Gegend sich einige Anhäufungen von Geräten Ohunato Akasakiund Muschelschalen aus der japanischen Steinzeit befinden. Vor drei Jahren wurde dieser Stadtteil auch vom Tsunami stark verwüstet. http://www.shincho-live.jp/ebook/railmap/line-c/pht03.html#7

Am Morgen war es immer noch relativ frisch, die mit sanftem Grün bedeckte Fläche, auf der früher vermutlich Häuser standen, war überall nass, aber zum Glück regnete es nicht mehr. Ich befand mich auf der anderen Seite der Bucht von Ofunato. Der Taxifahrer sagte mir ca. eine Stunde zu Fuss bis zum Hotel. Einen beruhigenden Gesang der japanischen Nachtigall im Rücken, ging ich auf der Hauptstrasse in Richtung Stadt zurück.

Vor zwei Jahren war ich nicht in der Gegend. Aber unterwegs bemerkte ich selber, dass der Ort, der gegenüber vom Stadtzentrum liegt, auch vom Tsunami stark betroffen war.

Der Stein verkörpert den Gott des Bergs.

Der Stein verkörpert den Gott des Bergs.

Die Zementfabrik, in der laut unserem Taxifahrer seit der Katastrophe auf Hochtouren gearbeitet wird, weil für den Wiederaufbau viel Zement nötig ist, vorbei, machte ich einen riesigen Umweg, ich übersah die nächste Brücke zum Stadtzentrum. Aber dank dieses Fehlers ging ich schliesslich durch einen Stadtteil, ein Geschäftsviertel aus Container-Büros. Die Strasse liegt rund 200 m entfernt vom Fluss Sakari. Für mich bedeuten diese Container-Büros ein gutes Zeichen für den Wiederaufbau. Immerhin haben diese Firmen ihre Arbeit wieder aufgenommen.

Zwei Stunden später war ich wieder im Hotel. Nach einer Pause im Bett machte ich mich nochmals auf den Weg. Diesmal schaute ich im Stadtzentrum herum, besuchte die Boutique „Sumire (Veilchen)“ wie vor zwei Jahren. Herr Takaya Suzuki erinnerte sich an mich. Er strahlte, als er mich erkannte, und sagte: „Sie! Aus der Schweiz!“

Ofunato EinkaufsstrasseEs war Frühnachmittag, als ich in der provisorischen Einkaufsstrasse ankam. Fast kein Besucher. Herr Suzuki erzählte: „In der letzten Zeit wurde es ruhiger. In einer Nachbarstadt wurde ein neuer Supermarkt gebaut. Viele Leute kaufen dort ein.“ Ab und zu kommen Touristen mit dem Car. „Sie bleiben vielleicht eine halbe Stunde hier, aber mein Laden ist nicht interessant für Touristen.“ Er mache sich Gedanken, wie lange er noch das Geschäft führen kann. Früher haben sich Läden in einem Wohngebiet befunden und die Einwohner pflegten dort einzukaufen. Das Zusammenleben mit Konsumenten hat gut funktioniert. Aber heute, nach der Tsunami-Katastrophe, haben viele Bewohner in einem anderen Ort ein neues Haus gebaut. „Sie kommen nicht mehr zurück“, so Herr Suzuki. „Aber wir müssen es durchhalten, sonst gibt es keine Zukunft mehr.“

Dieses seit Dezember 2011 bestehende Provisorium zieht imBoutique Sumire Frühjahr 2016 um, weil das Grundstück bis zu 3.5 m erhöht werden muss. Herr Suzuki wünscht sich, dass der neu entstehende Stadtteil attraktiv für die Bewohner gestaltet wird. Der Stadtbau wurde einer Immobilienfirma anvertraut. „Sie sind Profi, aber ich bin etwas besorgt, wie viel von unserem Wünsch erfüllt wird.“

Auch die Erhöhung sorgt unter Bewohner für Sorgen. Herr Suzuki äusserte sich skeptisch wie Herr Usui. „Beim grossen Erdbeben könnte etwa Verflüssigung auftreten.“

Herr Usui, der nachmittags frei gFamilie Suzukienommen hatte, holte mich mit dem Auto ab, nachdem ich wieder ins Hotel zurückgekommen war und mir eine kurze Pause gegönnt hatte. Er zeigte mir den neu gebauten Fischmarkt, dann fuhren wir zu einer Primarschule auf dem Hügel. Beim Tor und zwischen Gebäuden spielten Kinder Tennis, Baseball oder joggten. Ich fragte mich, warum hier und nicht im Schulhof? Herr Usui fuhr schweigend weiter ins Schulgelände und plötzlich sah ich unter den Füssen unzählige flache Dächer. Zuerst konnte ich nicht verstehen, was sie sein könnten. Herr Usui sagte immer noch nichts. Bald begriff ich, dass das niedriger als Schulgebäude errichtete Schulhof bis in die Ecke vom provisorisch gestellten Häuschen besetzt war. „Die Kinder haben keinen Platz, Sport zu treiben. Eine Mangel an Bewegung ist erkennbar“, erzählte Herr Usui.

BambushainZur Diashow Ofunato 2014

In Allgemeinen hatte ich trotzdem einen positiven Eindruck in Tohoku, der Gesichtsausdruck der Bewohner war fröhlicher als vor zwei Jahren. Es war auch erfreulich zu hören, als Herr Usui sagte: „Ich bin schon allein deswegen stolz, weil unglaublich viele Schutt und Trümmer doch alles verschwunden sind.“

Folie1Zum Vergleich Ofunato 2014 und 2012

Zu Fuss in Rikuzen-Takata

Im Frühsommer 2014 war das Küstengebiet der Stadt Rikuzen-Takata eine einzige Baustelle. Ein 120 m hoher Hügel zwischen Rikuzen-Takata und Kesennuma wird abgetragen, um dort, 40 m ü. M., Wohnungen für die Menschen, die durch Tsunami ihren Wohnsitz verloren haben und heute noch in einem provisorischen Zustand leben, zu bauen. Noch sechs weitere neue Siedlungen in einem höheren Ort sind im Plan. Die abgetragene Erde wird mit einem 3 km langen Förderband auf die Ebene heruntergebracht. Auf der anderen Seite des Hügels sind zahlreiche Lastwagen, die die Erde nach Kesennuma bringen, in Einsatz.

Überblick von einem leeren Platz Richtung Meer

Überblick von einem leeren Platz Richtung Meer

Der Hügel wird abgetragen, die Erde wird durch das

Der Hügel wird abgetragen, die Erde wird durch das gigantische Förderband direkt an die Küste gebracht.

Der Hügel wird abgetragen, die Erde wird durch das gigantische Förderband direkt an die Küste gebracht.

Rikuzen-Takata Rikuzen-Takata Rikuzen-Takata

Wir sind mit BRT (Bus Rapid Transit), einem Ersatz der JR-Bahn, von Kesennuma nach Rikuzen-Takata Richtung Norden gefahren. Herr Satoru Ito von der NGO SAVE TAKATA hat mich angeboten, unsere Gepäcke in seinem Büro, das sich in einer provisorischen Einkaufsstrasse auf einer Höhe befindet, zu deponieren. Es war kalt, der Himmel dunkelgrau. Mit Taschenschirmen gingen wir wieder an die Küste hinunter.

Das Gebäude rechts im Bild steht alleine auf der Ebene, wo früher das Stadtzentrum war. Der Besitzer Yuichi Yonezawa überlebte den Tsunami auf dem Schornstein des Gebäudes, auf der Höhe von 14 m ü. M.

Das Gebäude rechts im Bild steht alleine auf der Ebene, wo früher das Stadtzentrum war. Der Besitzer Yuichi Yonezawa überlebte den Tsunami auf dem Schornstein des Gebäudes, auf der Höhe von 14 m ü. M.

Die Arbeit, den Boden zu erhöhen, begann gemäss einem Mitarbeiter an der Baustelle im Mai 2013. Das Förderband hat eine Testphase im Februar hinter sich, seit diesem März bringt es max. 6‘000 Tonnen Erde pro Stunde auf die Fläche. Ohne es müsste ein 10-Tonner Lkw 600 Mal hin- und zurückfahren. Das grösste Förderband der Welt sei gebaut worden, eine provisorisch gebaute Brücke vor dem Schwerverkehr zu schützen, sagte er. Laut einem Rapport der Baufirma Shimizu Kensetsu, die am Bau beteiligt, wird die Bauzeit dank dem Riesen um drei Viertel verkürzt, der Schwerverkehr drastisch reduziert und damit auch die Emissionen. Der Mitarbeiter erzählte weiter, dass das Förderband zwischen Mai und Juni 2015 abgebaut wird. Danach beginnt die zweite Phase; Der Bau der Wohnungen auf dem abgetragenen Hügel.

 Die Kiefer und die Jugendherberge von 2012, unten von 2014

Die Kiefer und die Jugendherberge von 2012, unten von 2014Die Kiefer und die Jugendherberge von 2014. Der Baum ist inzwischen gestorben, er ist ein Reprika.


 Blick von der Küste zum inneren 2012, unten Sanierung der Küste 2014.

Blick von der Küste zum inneren 2012, unten Sanierung der Küste 2014.Sanierung der Küste 2014Letztes Mal war der Strand gesperrt, diesmal war er wegen der Baustelle wieder unzugänglich. Aber die einzig den Tsunami überlebte und chemisch behandelte Kiefer, die heute inmitten der Baustelle steht, ist frei zugänglich.

Wir konnten auch mit Frau Keiko Okamoto von der NGO SAVE TAKATA sprechen. Sie ergänzte Informationen: In der Stadtmitte, wo zum Teil durch das Erdbeben 1 m versunken ist, wird in zwei Schritten bis auf 11m ü. M. erhöht. Hier werden wieder Wohnhäuser und Geschäfte gebaut. Laut Frau Okamoto hat die Bevölkerungszahl der Stadt wieder zugenommen.

Auch hier auf einem erhöhten Ort werden die Bäume abgeholzt.

Auch hier auf einem erhöhten Ort werden die Bäume abgeholzt.


Lastwagen sind auch an der Arbeit.

Lastwagen sind auch an der Arbeit.


Nach der Tsunami-Katastrophe bauten die Bewohner von Rikuzen-Takata und ihre Unterstützer hier ein ca. 50 ha grosse Blumenfeld an. Die Blumen werden aber bald unter der Erde verschwinden.

Nach der Tsunami-Katastrophe bauten die Bewohner von Rikuzen-Takata und ihre Unterstützer hier ein ca. 50 ha grosse Blumenfeld an. Die Blumen werden aber bald unter der Erde verschwinden.