Monat: Juni 2014

Auf dem Fahrrad in Kesennuma

Diesmal kam eine japanische Freundin mit mir nach Tohoku. Wir mieteten Fahrrad beim Bahnhof Kesennuma und fuhren fast die gleiche Route wie ich vor zwei Jahren gewählt hatte. Aber zuerst Kesennumagingen wir zum Café Mambo, erstens um uns mit Frau Megoi Kajiwara zu treffen, zweitens um dort die bekannte Mambo-Rahmen, eine einfache, aber feine Nudelsuppe, zu kosten.

Die Nachricht, dass das Café aus der provisorischen Einkaufsstrasse auszog und in einem neuen Ort wiedereröffnet wurde, hatte mich in der Schweiz bereits erreicht. Ich kenne das Café Mambo vor der Tsunami-Katastrophe nicht, aber es sieht fast gleich aus wie früher, heisst es.

Ungefähr hier stand das Schiff.

Ungefähr hier stand das Schiff.

Laut Frau Kajiwara kommen die Leute, die Kesennuma nach der Katastrophe verlassen haben, kommen nicht mehr zurück. Sie kennt aber unter Zurückgebliebenen jemanden, der sein vom Tsunami zerstörtes Haus selber gereinigt und repariert hat. Aber „als das Haus wieder bewohnbar wurde, wurde ihm mitgeteilt, dass man auf diKesennumaesem Grundstück nicht mehr wohnen darf. Die Behörde wolle dort einen Park anlegen.“

Nach dem Mittagessen fuhren wir mit dem Fahrrad los. Zuerst in Richtung Shishiori, die Stadtteil, in die die riesigen Wellen das riesige Schiff hineingetrieben haben. Das Schiff war inzwischen abgebauKesennumat worden. Eine Mehrheit der Bewohner wollte es nicht mehr sehen. Frau Kajiwara hatte die Abbauarbeit beobachtet. „Es ging sehr rasch.“

Kesennuma

Am Hafen bleibt der Grund noch versunken.

 Heute ist die Gegend eine Baustelle. Eine neue provisorische Strasse wurde bereits gebaut, links und rechts wurde die Erde meterhoch geschüttert und gestampft. Die Seitenstrasse, an der vor zwei Jahren vom Salzwasser verrostete Wagen aufeinander gestapelt worden waren, war heute wegen der Erhöhungsarbeit gesperrt. Zahlreiche Lastwagen, auch ausserhalb der Präfektur, fuhren ununterbrochen rein und raus.

Auf der anderen Seite, wo eine Geschäftszone sein wird, wird der Boden meterhoch erhöht.

Auf der anderen Seite, wo eine Geschäftszone sein wird, wird der Boden meterhoch erhöht.

Im Stadtviertel zwischen den Fluss Okawa und der Bucht von Kesennuma sieht man auch überall aufgeschüttete Erdefelder. Vor zwei Jahren sah ich hier noch hie und da Fundamente, zerstörte Fabriken und erhöhte Strassen. Und sausende Lastwagen. Heute wirkt hier eher ruhig, nur Bagger arbeiten fleissig.

Quai, der beim Erdbeben gesunken ist, wurde notdürftig erhöht.

Quai, der beim Erdbeben gesunken ist, wurde notdürftig erhöht.

Sanjido-Sasaki, den Keramikladen mit einem traditionellen Lagerhaus, besuchte ich wieder und kaufte mir ein Set von Teeschalen. Allerdings benütze ich sie als Reisschale. Seither schmeckt der japanischen Reis noch lecker!

Frau Sasaki, die mich bediente, erinnerte sich nicht mehr an mich, aber fand meinen Namen in einem ihrer Notizbücher, in denen sie den Namen aller Besucher aufgeschrieben hatte. Wir unterhielten uns für eine Weile, während sie uns immer wieder T2014-06-25 10.36.14ee servierte. Das Lagerhaus war vor zwei Jahren wirklich ein Lager, aber heute ist es zur Galerie verwandelt und das Ehepaar war an der Vorbereitung für eine Ausstellung ihres Kollegens.

Die Stadt Kesennua will insgesamt auf einer Fläche von 74.3 ha wiederaufbauen. Sie wird bis auf 5.5 m ü.M. für die Wohn-, Geschäfts- sowie Industriezone erhöht.

Folie1zum Vergleich Kesennuma 2012 und 2014

Die Erde für die Erhöhung wird überall deponiert.Zur Diashow Kesennuma 2014

 

Was passiert in Fukushima?

Tetsu Kariya, bekannter Manga-Verfasser, hat vor kurzem Aufsehen erregt, weil er in seiner Serie „Oishinbo (Gourmet)“ in einem Comic-Magazin geschildert hatte, wie die körperliche Gesundheit der Einwohner in Fukushima unter der Strahlung leidet. (Deutsche Artikel dazu: http://www.focus.de/kultur/buecher/nasenbluten-und-geisterstaedte-kontroverser-fukushima-manga-spaltet-japan_id_3837897.html, http://www.focus.de/kultur/buecher/nasenbluten-und-geisterstaedte-kontroverser-fukushima-manga-spaltet-japan_id_3837897.html)

Frau Emiko Numauchi von der Stadt Minami-Soma leidet auch und hat sich zum Versuchskaninchen gemacht. Sie verlor nach eigenen Angaben Haare und Zähne, beobachtet diese Veränderungen ihres Körpers und schrieb es im Blog.  Sie glaubt, das alles wegen der Strahlung. Ihre Ansicht und Feststellung lösten wie im Fall „Oishinbo“ im Internet nicht nur emotionale Debatte sondern auch Verleumdung und üble Nachrede aus. Ihr Blog wurde infolgedessen ebenfalls stillgelegt.

In Fukushima, oder vielleicht landesweit, herrscht heute eine gedrückte Stimmung, wenn es um die Strahlung geht. Man spricht nicht von der Strahlenbelastung, man tut so, als ob es keine fatalen Folgen der Atomkatastrophe gäbe. Skeptische Äusserungen werden praktisch nicht geduldet.

Eine Frau, die in der Präfektur Fukushima wohnt und nicht genannt werden möchte, sagte mir jedoch insgeheim, dass sie und ihr Ehemann, sich betrügend und unehrlich, dort leben. Sie hört auch ihren Bekannten flüstern, die Dekontaminierung bringe nichts. „Man sollte Leute nicht nach Fukushima zurückkehren sondern lieber an einen sicheren Ort möglichst schnell umziehen lassen. Kontaminierte Materialien müssen halt in die kontaminierte Gegend gebracht werden, wenn auch es für uns äusserst hart und traurig wäre.“

Sie will Kinder vor der Strahlung schützen. Sie will, dass die Menschen, die nach eigenem Willen die Präfektur verlassen und in einem fremden Ort eine neue (provisorische?) Existenz aufgebaut haben, unterstützt werden. Diejenigen, die finanziell am Limit sind, kehren heute wieder zurück, wie sie gehört hat.

„Für die Kinder ist es vielleicht besser, wenn die Familie in einer anderen Präfektur lebt. Wenn es nicht möglich ist, wäre gut, wenn die Kinder am Wochenende und in Schulferien zur Kür gebracht werden könnten.“ Sie sieht sich aber der traurigen Wirklichkeit gegenüberzustehen, in der man sich nur beschränkt eigene Meinung zum von verschiedenen Problemen belasteten Atomunfall äussern kann.

Nach zwei Jahren wieder in Tohoku

Vom 24. bis 28. Mai besuchte ich zum zweiten Mal das KaGinga no hotoritastrophengebiet im Nordost-Japan, wo im 11. März 2011 das riesige Erdbeben und der Monster-Tsunami heimsuchten. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie der Wiederaufbau seit meinem letzten Besuch von 2012 weitergekommen ist.

Die erste Station ist wie letztes Mal Sukagawa in der Präfektur Fukushima. Ich traf mich wieder mit Frau Minako Azami, die nach dem AKW-Unfall sehr umweltbewusst lebt. Sie führte mich diesmal zu einem Makrobiotik-Restaurant, namens „Ginga no Hotori (An der Milchstrasse)“ in ihrer Stadt.Ginga no hotori

Die Besitzerin Frau Katsuko Arima hat vor 16 Jahren das Restaurant eröffnet und kocht seither „für die Seele, den Körper und die Erde“. Sie macht auch einen Versuch mit natürlichem Anbau, hält Vorträge über den naturnahen Lebensstil. Genau am Umzugstag vor drei Jahren – sie hat im gegenüberliegenden Grundstück ein neues Haus gebaut, um das Restaurant zu verlegen – bebte die Erde in Tohoku, ihr Plan wurde durcheinander gebracht. Das radioaktive Material aus dem AKW Fukushima I trieb sie zur Verzweiflung, ohne hin war es nicht einfach, solches „spezielles“ Restaurant zu betreiben.

Frau Arima kocht auch mit Sonnenenergie.

Frau Arima kocht auch mit Sonnenenergie.

„Ich will ein harmoniertes Leben als Gesamtheit in die Praxis umsetzen und dies alle Hindernisse hin und her weiter machen“, sagte mir die zierliche 55-Jährige mit einer feinen Haut, die bei Frauen in Tohoku sehr typisch ist.

Das Restaurant ist gleichzeitig auch Strahlenmessstation für Lebensmittel und fast alle Zutaten, die sie zum Kochen verwendet, werden kontrolliert. Auch von anderen Präfekturen treffen Lebensmittel zur Kontr銀河のほとり 菜園olle ein.

Damals beim AKW-Unfall hat sie Geflogene aufgenommen, heute stellt sie Menschen, die in anderen Unternehmen Problem hatten, als MitaGinga no hotorirbeiter an. „Profitable ist das Restaurant nicht, aber ich kann nicht mehr anders tun.“

Durch Wwoof, NGO für Austausch der Landwirte (siehe http://zapfig.com/wwoof/), kommen zwischen zehn und zwanzig Trainees aus In- und Ausland „an die Milchstrasse“ pro Jahr. „Von ihnen lerne ich auch. Dieser Austausch ist etwas, was man nicht Ginga no hotorimit Geld kaufen kann“, sagt sie und hofft, dass die Leute von der Gegend mit hoher Strahlung bei ihr lernen, wie man sich vor der Strahlung schützen kann, und diese Kenntnisse nach Hause mitnehmen können.

Lebensmittel werden für die Untersuchung klein geschnitten.

Lebensmittel werden für die Untersuchung
klein geschnitten.

 

"Gerade diese Zeit muss man sich richtig mit Miso und Naturreis ernähren."

„Gerade diese Zeit muss man sich richtig mit Miso und Naturreis ernähren.“