Nicht nur Kinder…

Frau Kinno ist Lokaljournalistin in Nordjapan, Tohoku, und hat mich vor einem Jahr in der von Tsunami verwüsteten Stadt Rikuzen-Takata geführt. Seit der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe informiert sie der Bewohner dieses Gebiets energisch Neuigkeiten.

Eines Tages, schreibt sie in ihrem Blog, fuhr sie mit dem Auto zwei Stunden nach Morioka, um einen Film zu sehen. Vor dem Kino-Besuch traf sie sich mit einem Bekannten in der Stadt, sprach während des Mittagsessens über die aktuelle Situation im Katastrophengebiet.

Etwa um drei Uhr war der Film fertig, ging sie danach kurz zu Starbucks und fuhr wieder nach Hause. Das war keine besondere Begebenheit. Im Auto auf dem Rückweg merkte sie doch, dass sie sich befreit fühlte. Warum?

Sie bewegt sich tagtäglich im Katastrophengebiet. Bewusst oder unbewusst nimmt sie immer die Spuren der erbarmungslosen Katastrophe wahr. Morioka, eine grosse Stadt im Inland, hat hingegen keine Schaden durch den Tsunami erlitten. Das Leben dort bleibt so wie früher. Allein das, sich in einer Normalität zu befinden, befreite sie vom psychischen Stress, unter dem sie seit fast zwei Jahren ständig steht.

Und sie ist nicht einzige. In Facebook schreibt ihr Bekannter von Rikuzen-Takata: „Ich kann mich nie erholen, bin willensschwach und will nicht arbeiten gehen.“ Neben dem Beruf verrichtet er seit der Katastrophe auch freiwillige Arbeit. Frau Kinno analysiert, dass er immer angespannt ist und nicht mehr in der Lage ist, sich zu entspannen.

Auch ein Restaurantinhaber klagten über Schwindel. Frau Kinno hat von seiner Frau erfahren, dass er zum Arzt, Spital oder sogar zur Notfallstation ging. Der endgültige Befund hiess „verspante Schultern“. Den Stress, der seit zwei Jahren ständig den Menschen begleitet hat, erträgt der Körper langsam nicht mehr, wenn auch man nicht merkt, dass man erschöpft ist.

Viele Menschen im Katastrophengebiet arbeiten seit dem 11. März 2011 tagaus tagein unaufhaltsam, um das „normale“ Leben zurückzufinden. Sie wollen für die Heimat etwas beitragen. Da es vor Ort eher an Arbeitskraft mangelt, findet man keinen Ersatz, so arbeiten sie weiter, ohne eine Pause einzulegen.

Frau Kinno hat in Morioka gemerkt, dass es wichtig ist, sich vom Katastrophengebiet, wenn auch für kurze Zeit, zu entfernen. So kann man sich etwas auffrischen. Für Kinder im Katastrophengebiet werden zahlreiche Ferienprogramme organisiert, aber die Erwachsene haben sie auch dringend nötig.

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